Die Frankfurter Agentur DIVE hat ihr Leistungsangebot fokussiert und setzt verstärkt auf Fachkräftekommunikation. Die beiden Gründer Frank Müller und Ulrich Erler erklären im Gespräch, wie sich ihr Ansatz vom klassischen Employer Branding unterscheidet.
DIVE ist eine Kommunikationsagentur mit dem Schwerpunkt Sprache. Was war der Impuls, ein neues Leistungspaket für Fachkräftekommunikation zu schnüren?
Müller: Der Fachkräftemangel greift die Existenzgrundlage von Unternehmen an. Das spüren wir praktisch in jedem Beratungsgespräch. Unsere Kunden suchen händeringend Personal, einige schränken deshalb sogar schon ihre Geschäftstätigkeit ein. Eine ifo-Umfrage bestätigt die prekäre Lage: Inzwischen ist die Hälfte aller Unternehmen betroffen – quer durch alle Branchen. Und die Situation wird ja mit Blick auf die demographische Entwicklung nicht besser. Entsprechend häufen sich bei uns die Anfragen nach Karrierewebsites, Recruiting-Kampagnen und Personalanzeigen.
Also klassische Leistungen zur Mitarbeitergewinnung.
Müller: Jein. Wir bedienen einerseits die komplette Bandbreite des Employer Brandings: beispielsweise Analysen der Bewerberzielgruppen, Mitarbeiterbindungsprogramme, analoge sowie digitale Mitarbeitermagazine und sprachliche Genderkonzepte, damit sich alle Mitarbeitende und Bewerber:innen ausreichend wertgeschätzt fühlen. Andererseits tauchen wir tiefer als andere und setzten uns stark mit den Zielgruppen und ihren Bedürfnissen auseinander.
Und wieso sprechen Sie von Fachkräftekommunikation anstatt von Employer Branding?
Erler: Markenbildung ist zwar wichtig, wir wollen aber verdeutlichen, dass bei unserem Ansatz die Fachkräfte als Menschen im Mittelpunkt stehen. Das hat auch viel mit Nähe zu tun. Und es unterscheidet sich deutlich von der klassischen Markenkommunikation, bei der es in erster Linie um den Absender geht.
Wie wirkt sich das genau aus?
Erler: Um im „War for Talents“ nicht auf verlorenem Posten zu stehen, sind zwei Dinge entscheidend: Zum einen die Haltung des Unternehmens gegenüber den Bewerbern und Mitarbeitern, zum anderen die genaue Kenntnis der unterschiedlichen Bewerberzielgruppen.
Können Sie das konkretisieren?
Erler: Wir haben längst keinen Arbeitgebermarkt mehr, sondern einen Bewerbermarkt. Wo früher der Personaler den Kandidaten noch gefragt hat: „Warum sollten wir gerade Sie einstellen?“, muss er sich heute die Frage gefallen lassen: „Warum sollte ich gerade bei Ihnen anfangen?“ Und darauf muss er überzeugende Antworten geben können. Das meine ich mit Haltung. Sie muss verinnerlicht werden und darf sich nicht nur in wohlklingenden Personalanzeigen niederschlagen. Und dann beobachten wir, dass sehr viel Unkenntnis über die unterschiedlichen Zielgruppen herrscht. Das zeigt sich beispielsweise in der Ansprache, beim Leistungspaket und auch bei den Benefits. Ob hier überhaupt die Bedürfnisse und Erwartungen der relevanten Bewerberzielgruppen getroffen werden, ist unklar. Sich hier aber nur auf sein Bauchgefühl zu verlassen, ist definitiv der falsche Ansatz. Trotzdem sind viele Unternehmen quasi im Blindflug durch den Arbeitsmarkt unterwegs.
Müller: Es ist wirklich erstaunlich, wie wenig auf Unternehmens- und Agenturseite mit validen Zahlen oder erfahrungsbasierten Insights gearbeitet wird: Sind ein Obstkorb, ein Tischkicker, ein E-Bike und After-Work-Partys für Berufseinsteiger wirklich entscheidende Faktoren? Sind Teilzeitarbeit, Kinderbetreuung und Mentorenprogramme nur für Frauen relevant? Legen nur Männer mehr Wert auf Aufstiegschancen, Boni und Weiterbildungen? Und welchen Stellenwert hat eine betriebliche Altersversorgung? Tatsache ist, dass die Kommunikation oft auf luftige Mutmaßungen aufgebaut wird, ohne genau zu wissen, wie gut das Angebot bei den Bewerber:innen ankommt und welche Alternativen der Wettbewerb bietet.
Das ist für eine Kommunikationsagentur natürlich unbefriedigend.
Müller: Vor allem ist es für das Unternehmen unbefriedigend, wenn es Investitionen tätigt, die nicht zum Erfolg führen. Deshalb ist es uns auch so wichtig, die ganze Kommunikation auf ein solides Fundament zu stellen. Im Grunde ist es ganz einfach: Wer zielgenau kommunizieren will, spricht zuerst mit der Zielgruppe selbst. Oder zumindest mit dem Recruiting, das im engen Kontakt zu den Bewerber:innen steht. Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, weshalb dieser wichtige Schritt von Unternehmen und Agenturen oft übersprungen wird. Das ist doch das Allernaheliegendste! Obwohl die Lösung buchstäblich vor den Füßen liegt, hat man sich angewöhnt, besser ins Blaue hineinzuphantasieren. Damit meine ich die beliebten „Personas“: fiktive Zielgruppensteckbriefe, die in geschlossenen Meetingräumen erfunden werden und mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun haben müssen. Wir bei DIVE arbeiten mit wissenschaftlichen Studien und gehen auch selbst ins Feld und betreiben Research. Dabei sind die Ergebnisse manchmal erstaunlich und sorgen für die entscheidende Akzentsetzung in Strategie und Umsetzung.
Beschränken sich Ihre Analysen nur auf Zielgruppenbedürfnisse?
Müller: Nicht nur, ein Ergebnis kann auch sein, dass es interessante Zielgruppen gibt, die bisher gar nicht beachtet wurden. Natürlich bieten Absolventen und Frauen auf den ersten Blick das größte Potenzial. Aber genau um diese Zielgruppen kümmert sich auch der Wettbewerb. Wir hatten schon einmal den interessanten Fall, dass gezielt Quereinsteiger für den medizinischen Vertrieb angesprochen und entsprechend qualifiziert wurden – mit großem Erfolg. In einem anderen Praxisfall hat ein Maschinenbauer die Gruppe 55+ ins Visier genommen und ein flexibles Renteneintrittsalter angeboten.
Sind das nicht Leistungen, die man eher im klassischen Consulting ansiedeln würde?
Erler: Wahrscheinlich. Aber aus unserer Sicht ist es extrem sinnvoll, den ganzen Prozess von der Analyse über die Strategie und den Maßnahmenkatalog bis zur kommunikativen Umsetzung aus einem Guss zu gestalten. So lassen sich Brüche vermeiden und konsistente Kampagnen gewährleisten.
Lassen Sie uns den Fokus auf das Unternehmen richten: Wer sollte beim Employer Branding den Lead haben, Marketing oder Personalabteilung?
Müller: Employer Branding ist Teamsport. So bald HR oder Marketing den Alleinunterhalter spielt, ist die Kampagne zum Scheitern verurteilt. Jeder Bereich hat seine eigene Expertise. Beides wird gebraucht. Erfolgversprechend ist, wenn es eine Stelle gibt, die den Blick für beide Seiten hat und bei der die Fäden zusammenlaufen.
Abschlussfrage: Was braucht es, für ein erfolgreiches Employer Branding und was sollte vermieden werden?
Erler: Pauschal lässt sich das schwer beantworten, weil jeder individuelle Fall anders gelagert ist. Ganz allgemein kann man aber sagen: Ohne Klarheit, Ehrlichkeit und Mut geht es nicht.
Müller: Das kann ich bestätigen. Klarheit heißt in dem Zusammenhang, sich deutlich zu machen, wer das Gegenüber ist. Ehrlichkeit meint, keine potemkinschen Dörfer aufzubauen und auf die Konsistenz von Aussagen und Handlungen zu achten. Mut bedeutet, Dinge anders zu denken und zu machen, als es bisher der Fall war.