Von Frank Müller
Emotionen gelten als Treibstoff für Marken. Lovemarks und Love Brands sind in aller Munde. Doch auf welche Gefühle kommt es an, und wie löst man sie aus? Frank Müller, Geschäftsführer der Kreativagentur Liebchen+Liebchen, beschäftigt sich intensiv mit der emotionalen Überzeugungskraft von Marken. In seinem Gastbeitrag für HORIZONT Online verrät er, worauf Marken-Verantwortliche achten sollten.
Marken und Emotionen sind schon immer eng miteinander verbunden. Wir sollen „Freude“ am Fahren erleben. Wir sollen Lebensmittel, Schuhe und Fastfood „lieben“ – oder zumindest die Liebe derjenigen erwidern, die sie herstellen oder verkaufen. Begriffe wie „Lovemarks“ und „Love Brands“ erfreuen sich seit Jahren ungebrochener Beliebtheit. Dahinter verbirgt sich der Wunsch von nach einer tiefen, affektiven Verbindung zur Marke.
Doch warum gehörgen Marken und Emotionen eigentlich zusammen? Gefühle sind der wichtigste Bewertungsmechanismus, den die Natur bei der Entwicklung der Gehirne von Lebewesen eingerichtet hat. An emotionale Momente wie den ersten Kuss oder einen Spaziergang im Mondschein erinnern wir uns dauerhaft. Studien belegen, dass das menschliche Gehirn jede Information, die es aufnimmt und verarbeitet, mit einem Gefühl verknüpft. Wir fühlen immer, unsere Beziehung zu Marken ist hier keine Ausnahme. Es ist empirisch nachgewiesen, dass wir von acht Basisemotionen sechs Emotionen Marken überdurchschnittlich zuordnen, also eine ganze Menge. Blickt man durch die Brille der Neurowissenschaften auf Werbung und Marketing, so zeigen sich verschenkte Potenziale. Wir fühlen nicht erst, wenn starke Push-Reize auf uns wirken. Manchmal wirkt schon der Kontext oder „Frame“, den eine Marke schafft, als Emotionsauslöser.
Warum sollten Marken überhaupt emotional auftreten? Es gibt auf dem Markt kein Produkt und kein Serviceangebot, das Kunden nicht auch von anderen Anbietern genauso gut und mit einem ebenso guten Service bekommen. Neue Produkte verlieren ihren Vorsprung innerhalb weniger Monate. Sogar innovative Produkte bekommen in kürzester Zeit ernst zu nehmende Wettbewerber. Mit der Nivellierung der Konsumartikel auf hohem Niveau geht ein dramatischer Differenzierungsverlust für den Anbieter einher. Die Emotionalisierung von Marken ist der Königsweg für gesättigte Märkte, in denen Produkte ausgereift und die Informationen über ihre sachlichen Eigenschaften trivial sind.
Die Steigerung von Marken-Emotionalität ist deshalb ein Erfolgsfaktor. Marken, die uns nahe sind, bevorzugen wir nicht nur gegenüber anderen Marken. Wir empfehlen sie weiter, verzeihen ihnen gelegentliche Fehler und sind bereit, einen höheren Preis für sie zu bezahlen. Bei hohem emotionalen Involvement denken Kunden weniger über das Angebot nach. Sie wollen es einfach haben. Hinzu kommt: Emotionale Marken sind schwerer von der Konkurrenz nachzuahmen als sachlich positionierte Marken. Durch ihre größere psychologische Relevanz werden sie tiefer verankert und erlangen dadurch einen „Kopierschutz“. Deshalb werden bei emotionalen Positionierungen auch die größten Unterschiede zwischen Marken wahrgenommen. Tesla unterscheidet sich stärker von allen Elektroautos als diese sich voneinander. Bei alldem darf man aber nicht vergessen: Kommunikation kann nur für einen Teil der Marke zuständig sein, nämlich für die Inszenierung. Wenn sich niemand für das Produkt dahinter begeistern kann, wird es mit der Emotionalisierung schwierig.
Aber können wir Marken wirklich „lieben“? Grundsätzlich stellt sich mir die Frage nach der Sinnhaftigkeit des Begriffs Lovemark. Denn die meisten Marken verdienen sich Zuneigung vor allem durch Leistung und echtes Bemühen um die Kunden. Andere Emotionen scheinen hier deshalb besser zu passen als Liebe. Laut einem an der Universität Wien durchgeführten Forschungsprojekt rangiert diese bei den Marken-Gefühlen ziemlich weit hinten. Sogar Sorge, Langeweile, Enttäuschung, Verachtung und Furcht werden häufiger empfunden! Weiter hat sich herausgestellt, dass Liebe im Kontext der Markenwahrnehmung als Derivat aus anderen Emotionen entsteht und nicht als eigenständiges Gefühl einzustufen ist. Damit offenbart sich Markenliebe als hoffnungsfrohe Metapher und kühner Werber-Wunschtraum, aber nicht als realistisches Ziel der Marken-Emotionalisierung.
Nach Ansicht der Forscher führt das Gefühl der Freude das Feld der Marken-Emotionen mit weitem Vorsprung an. Erst dann folgen Akzeptanz, Zuneigung bzw. Vertrauen mit etwa der Hälfte der Werte. Trotzdem ist Vertrauen ein wichtiges Gefühl. Nicht umsonst bildet es den Kern von Simon Sineks „Golden Circle“, eines Marketing-Konzepts, das von vielen Purpose-getriebenen Brands eingesetzt wird. Ebenfalls einen großen Anteil haben negative Gefühle wie Abscheu, Ärger und Furcht. Das bemerkenswert, denn in der Branche wird oft ausgegangen, dass Marken in erster Linie positive Emotionen wecken. Aber gerade aus dem Gewicht negativer Emotionen ergeben sich neue Denkanstöße für die Markenführung. Sie können beispielsweise zu einer kritischen Betrachtung von Dachmarkenstrategien führen. Wenn ein Unternehmen hinter einer Marke mit Negativgefühlen behaftet ist, empfiehlt es sich womöglich, beides zu entkoppeln.
Der Erfolg einer emotionalen Marken-Positionierung ist natürlich nur dann gegeben, wenn die jeweils richtigen Emotionen aktiviert werden. Das wiederum gelingt nur, wenn Unternehmen die wahren Motive ihrer Kunden kennen. Aber genau hier zeigen sich oft Wissenslücken: Firmen wissen oft viel über die rationalen Kaufgründe, aber wenig über die ausschlaggebenden emotionalen Motive. Nur wenn eine Marke ein emotionales Bedürfnis sehr präzise adressiert, besteht eine Chance auf Erfolg. Mit Wirkungstests und Research-Methoden, die neue Erkenntnisse der Hirnforschung, der Emotionspsychologie und der Behavioural Economics nutzen, können die emotionalen Beweggründe herausgearbeitet werden, die zu Offenheit oder Abwehr, Interesse oder Desinteresse, Kauf oder Nicht-Kauf führen. Deshalb tun Marken-Macher gut daran, emotionale Marken-Konstrukte genauer unter die Lupe zu nehmen und ggf. zu optimieren.
Spielt es bei der Marken-Emotionalisierung eine Rolle, ob es sich um eine B2B- oder B2C-Marke handelt? Nicht unbedingt. Die Grenze zwischen B2B und B2C verschwimmt mittlerweile. Derselbe Kunde, der heute auf dem Arbeitsweg in der U-Bahn die hippen Sneakers per Smartphone ordert, bestellt morgen im Auftrag seines Arbeitgebers. Als Geschäftskunde will er emotional genauso berührt werden wie als Privatmann. Unter der Prämisse, dass die wichtigste Ebene, die es mit der B2B-Markenstrategie zu beeinflussen gilt, die Individualebene ist, liegt es nahe, sich auch im Bereich B2B mit der Emotionalisierung von Individuen zu beschäftigen. Hinter jeder Customer Journey, hinter jeder Kaufentscheidung steht ein Mensch – unabhängig von B2B oder B2C. Ich plädiere daher für H2H: Human to Human. Ein weiterer Aspekt: Fachlich ist nicht gleich unemotional. Wer einmal erlebt hat, wie sich B2B-Verantwortliche in der Chemie-Industrie für chemische Formeln in der Kommunikation begeistern können, weiß, wovon ich spreche.
Die Methoden, auf die sich die Marken-Emotionalisierung stützen kann, sind vielfältig und reichen von Befragungen über Untersuchungen mit emotionsauslösenden Methoden bis hin zur Messung neurophysiologischer Parameter im Labor. Doch gibt nicht jedes Budget die Mittel für aufwändige Pre- und Post-Tests her. In der Praxis sind daher Emotionalisierungsmethoden für Strategie, Konzeption und Kreation wichtig. Agenturen müssen erfahrungsbasierte Tools für Branding-Prozesse und Handwerkszeug für Designer, Digital-Spezialisten und Texter entwickeln. Diese Instrumente gilt es dann individuell und mit viel Verständnis und Fingerspitzengefühl anzuwenden. Denn das Ziel Marken-Emotionalisierung hängt im Einzelfall ja von vielen unterschiedlichen Parametern wie Märkten, Branchen, Produkten und Zielgruppen ab. Was sich neben dem harten Prüfstein der Empirie immer bewährt hat, sind Umsicht, Erfahrung und Intuition.
Erschienen auf HORIZONT Online, 15.07.2020.