Bei der sprachlichen Gleichbehandlung der Geschlechter herrscht Unübersichtlichkeit. Die Vor- und Nachteile der einzelnen Lösungen werden intensiv diskutiert. Mit dem „Entgendern nach Phettberg“ hat der Germanist Thomas Kronschläger, Literaturdidaktiker an der TU Braunschweig, eine weitere Variante der geschlechtersensiblen Sprache populär gemacht. Mit DIVE spricht der gebürtige Wiener über den Gender-Diskurs, sprachliche Offenheit und seine österreichische Heimatstadt.
Frank Müller: Um die gendergerechte Sprache ist ein heftiger Streit entbrannt, der SPIEGEL spricht von einem „Kulturkampf“. Was sagen Sie zur aktuellen Diskussion?
Thomas Kronschläger: Dass darüber gestritten und diskutiert wird, ist keineswegs neu, interessant ist, dass sich dieses Thema trotz der Pandemie jetzt schon wieder recht lange hält. Tatsächlich ist es aber eine Frage der Kultur, weil es ums Zusammenleben in der Gesellschaft geht. Wir diskutieren gerade, ob wir als Kultur einen Schritt vorwärts tun wollen (und sind damit übrigens schon einen recht großen Schritt weitergekommen …)
F.M.: Wo sehen Sie die größten Hindernisse in der Anwendung aktueller Gender-Konzepte, die auf einer nicht-binären Vorstellung von Geschlecht basieren, wie zum Beispiel Doppelpunkt und Gendersternchen?
T.K.: Die Diskussion um Ausdrucksweisen ist eigentlich schon sehr lange in der menschlichen Kultur feststellbar – Höflichkeitskonzepte, Klarheit, Deutlichkeit sind nur drei Aspekte, um die bereits vor mehr als tausend Jahren diskutiert wurde. Bei den graphischen Lösungen wie Doppelpunkt und Gendersternchen kulminieren das Bemühen um Sichtbarmachung (Deutlichkeit) mit der Nutzungsfreundlichkeit. Viele Sprachverwendys kritisieren, was ja diese Versionen auszeichnet: Dass wir darüber stolpern. Wir halten kurz inne und denken daran, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt und auf wievielen Ebenen das für die Kommunikationssituation relevant ist. Dass Menschen nicht ’stolpern‘ wollen, führt dann dazu, dass sie – um das Bild zu erweitern – vor Angst, damit hinzufallen, vielleicht die Verwendung geschlechtsneutraler Sprache generell ablehnen oder weniger sichtbare Formen wie Fluchtwörter benutzen (also Führungspersonal statt Chef*innen, Studierende statt Student:innen). Aber selbst wenn ich willens bin, das klar zu markieren, fällt es mir manchmal (und vor allem in der mündlichen Verwendung) nicht leicht, auch die Pronomina anzupassen. Da wird ein Satz dann schnell komplex, der Zusammenhang einzelner Wörter nicht mehr ganz klar. Dann weichen wir häufig auf Beidnennung aus (Journalistinnen und Journalisten) oder soagr ganz auf das generische Maskulinum. Da unterscheide ich aber ganz klar zwischen mündlicher und schriftlicher Verwendung. Schriftliche Kommunikation ist da doch noch anders – da habe ich Zeit genug, das anzupassen. Aber nichtsdestoweniger sind die Pronomina und die Artikel aus meiner Sicht das größere Problem – nicht die Personenbezeichnungen.
F.M.: Es wurde behauptet, Gendern sei sexistisch, weil es das Geschlecht als dominante Identitätskategorie in den Vordergund stelle. Spricht das nicht für eine geschlechtsneutrale Sprache?
T.K.: Sexismus als Begriff ist da sehr schwierig – weil es ein sehr schillernder Begriff ist. Die Ansätze zu geschlechtergerechter Sprache, vor allem die Beidnennung hatten zum Ziel, Frauen in der Gesellschaft sichtbarer zu machen; das ist zweifellos gelungen, wenngleich noch nicht in allen Bereichen. Wir haben lange Zeit eine männliche Norm versprachlicht, in der Frauen das Andere waren, zu oft wurde weibliche Arbeit durch Nichterwähnung vernachlässigt. Und das waren keine Einzelfälle, sondern war im Sprachgebrauch systematisch so angelegt. Heute können wir überlegen, in welchen Situationen das Geschlecht welche Rolle spielt und das sprachlich ausdrücken. Ich arbeite zum Beispiel in einem Fachbereich mit hohem Frauenanteil (der überwiegende Anteil meiner Studentys ist weiblich). Da kann es relevant sein, männliche Germanistys (gerade im Bereich Grundschullehramt) hervorzuheben. (Auffällig ist aber dennoch, dass der Frauenanteil in höheren Positionen, also Professur etc. weniger wird). Die Möglichkeit, geschlechtsneutrale Sprache verwenden zu können, ist aber wichtig, um einerseits Menschen anzusprechen, die sich keinem der beiden traditionellen Geschlechter zuordnen können oder wollen und das aber sichtbar zu machen, und andererseits die Relevanz einzelner Geschlechtsmarkierungen der Situation anzupassen.
F.M.: Eine verbindliche Regelung zum sprachlichen Umgang mit den Geschlechtern bislang existiert nicht. Trotzdem schaffen Unternehmen, Hochschulen und Behörden Fakten, indem sie eigene Regeln einführen. Wie sollten sich Organisationen in der aktuellen Situation verhalten?
T.K.: Das ist eine wunderbare Gelegenheit für Institutionen, sich zu positionieren. Es gibt keinen ’neutralen‘ Boden – wie wir sprechen, sagt viel über Organisationen aus. Ich finde es daher wichtig, dass intern diskutiert wird und – möglichst auf allen Ebenen – die jeweilige Institution abgebildet wird. Schließlich ist das ein Prozess, der Meinung bildet und dann auch abbilden kann.
F.M.: Durch Ihre Forschung haben Sie das „Entgendern nach Phettberg“ systematisiert und dem Konzept in Deutschland öffentliche Aufmerksamkeit verschafft. Berichtet wurde im Deutschlandfunk, im SPIEGEL und sogar im Stern … Was hat Sie daran am meisten überrascht oder verwundert?
T.K.: Das große Interesse freut mich persönlich durchaus – ich freue mich vieler Zuschriften von Menschen, die sagen, dass sie nun eine Form für sich gefunden haben. Verwundert hat mich, wie schnell die Medienlandschaft reagiert und wie viele Anfragen kamen, die ich alle gar nicht beantworten konnte.
F.M.: Hauptargumente der Phettberg-Lösung sind ja der Abbau von Komplexität und die Anwendungsfreundlichkeit. Dem Wortstamm von Personenbezeichnungen wird einfach ein y angehängt, im Plural ein ys: Germanisty und Germanistys. Nur bei den Pronomina ist das nicht so einfach, da hier nach wie vor das Geschlecht gemeint sein könnte. So würden Sie den Satz „In seinem(n.) neuen Buch schlägt das Psychology Müller-Xi vor, …“ ein (n.) für „neutrum“ beistellen.
T.K.: Die einfache Verwendbarkeit ist tatsächlich ein bestechendes Charakteristikum des Entgenderns nach Phettberg – aber wie bei allen sprachlichen Formaten gibt es kleinere Unschärfen. Das gilt nicht nur für geschlechtsnetrale Sprache, denken Sie an das Siezen: Auch da sind die Regeln nicht immer klar und einfach. Das (n.) ist eine Kompromisslösung, die ich anbiete, um den Formzusammenfall bei bestimmten Wörtern zu markieren. In vielen Fällen muss das sicherlich nicht noch extra passieren. Wenn ich – wie in dem Beispielsatz das Psychology schon drinnenhabe, kann das ’seinem‘ schon genug sein. Ungeschickt ist es nur, wenn ich sonst keine markierte Form beistelle, bspw. in „In seinem neuen Buch schlägt Müller-Xi vor…“ Das ist dann missverständlich.
F.M.: Bei Ihren Bühnenauftritten reagiert das Publikum sichtlich amüsiert, wenn Sie Beispiele für das Entgendern nach Phettberg präsentieren. Glauben Sie, dass das Konzept außerhalb der humoristischen Nische eine echte Chance auf Verbreitung und Anwendung hat?
T.K.: Ich versuche das Thema humorvoll darzubringen, was den Bedingungen des Formats science slam geschuldet ist. Auch Luise Pusch – eine der Vorkämpferinnen für geschlechtergerechte Sprache – hat stets mit Humor gearbeitet, auch wenn das nicht immer verstanden wurde. Ich verwende die Form aber auch durchaus in ernsthaften Gesprächen und der humoristische Effekt verfliegt da nach einer Zeit, das ist eine Sache der Gewohnheit. Heute lacht niemand mehr über „zum Bleistift“, auch wenn das vor 40 Jahren sicherlich noch Schmunzeln ausgelöst hat.
F.M.: Sie lassen Schreibenden und Sprechenden, die das Konzept nutzen wollen, einige Freiheiten, z.B. bei der Binnenentgenderung von Wörtern oder beim Entgendern bei Personen, deren Geschlecht vermeintlich bekannt ist. Wie würde sich das mit der Regelungswut einer „amtlichen“ Rechtschreibung vertragen?
T.K.: Ich glaube nicht, dass jemals eine Form zur amtlichen Regel erhoben werden sollte. Gendern/Entgendern ist ja eben nicht ein isoliertes sprachliches Phänomen, das one-fits-all-mäßig funktionieren kann, genausowenig wie das Siezen. In manchen Lokalen werde ich gesiezt, in manchen geduzt. Damit treffe ich immer eine Aussage über mich selbst – ich markiere, wie ich angesprochen werden will: Spricht mich jemand in der Straßenbahn mit Du an, weiß ich, dass dieser Mensch auch mit Du angesprochen werden möchte. Wenn ich das nicht will, werde ich siezen und gemeinsam finden wir in wenigen Sätzen zu einem Umgang miteinander. Ähnlich funktioniert es mit dem Komplex Sprache und Geschlecht. Die meisten Leitfäden und Texte zu geschlechtsneutraler bzw. geschlechtergerechter Sprache, die ich kenne, schreiben Offenheit und Vielfalt in den Ansätzen ganz groß. Wichtig ist mir hier, einen Ansatz zu zeigen, den ich in bestimmten Situationen für besonders sinnvoll erachte. Wenn ich eine Person kenne und weiß, dass diese Person als er/sie/sier angesprochen werden möchte, werde ich diesen Wünschen immer nachkommen. Solange ich das nicht weiß, bemühe ich mich um größtmögliche Offenheit.
F.M.: In Wien werden nicht nur die städtischen Räume geschlechtergerecht entwickelt, sondern alle Aspekte des öffentlichen Lebens, einschließlich der Verkehrsmittel und der Sprache. Die Stadt gönnt sich eine eigene Abteilung mit dem Namen „Gender Mainstreaming“. Hat Sie dieser Vorsprung Ihrer Heimatstadt bei der gesellschaftlichen Gleichstellung der Geschlechter beeinflusst?
T.K.: Wien als fortschrittlich bezeichnet zu hören, nimmt mich immer wunder. Insgesamt habe ich aber schon wahrgenommen, dass Wien in den letzten Jahren immer offener geworden ist, was vielleicht daran liegt, dass da Einiges nicht so stark wahrgenommen wird: Eine Wiener Professorin hat einmal gesagt: „In Wien habe ich Freiheiten in der Forschung, die ich in Deutschland nicht habe – weil es in Wien weniger Aufmerksamkeit und damit weniger Gegenwind dafür gibt.“ Dieser positive Aspekt einer gewissen Wurschtigkeit kann also durchaus befreiend sein. Die „Kämpfe“ werden in Deutschland – so will es mir in meiner nur sehr kurzen Deutschlanderfahrung von wenigen Jahren bislang scheinen – mit härteren Bandagen geführt.
F.M.: Welchen Stellenwert hat das „Entgendern nach Phettberg“ in Ihrer wissenschaftlichen Arbeit?
T.K.: Im Laufe meines Studiums habe ich gemerkt, dass Gender Studies unglaublich einflussreich, anschlussfähig und spannend ist. Ich kenne kaum einen anderen Ansatz, der so produktiv ist und der so viele blinde Flecken des Menschseins aufdeckt. Seitdem interessiere ich mich für alles, was mit Gender zu tun hat. Das hat meine Sicht auf die Welt zuverlässig alle paar Wochen vollkommen verändert – ich habe immer wieder gesehen, wie wenig ich über die Welt und mich weiß, wie viel es noch zu entdecken, zu lernen, zu reflektieren und zu überdenken gibt. Als ich dann begann, mich mit der sprachlichen Dimension auseinanderzusetzen, war ich recht ergebnisoffen – ich habe lange in beide Richtungen überlegt und Argumente abgewogen und kann daher sagen, dass es mein Nachdenken über Wissenschaft und vor allem über Wissenschaftskommunikation nachhaltig geprägt hat. Gender Studies an sich ist also eine Konstante in meiner Forschung – das Entgendern nach Phettberg ist mehr ein Ansatz, der daraus entstanden ist.
F.M.: Eine letzte Frage. Wie schreiben Sie im beruflichen und privaten Umfeld, verwenden Sie die y-Form selbst?
T.K.: Im beruflichen Umfeld halte ich mich an die jeweiligen Regeln der Verlage. Wenn es mir freigestellt wird, verwende ich das y. Im privaten Umfeld erkläre ich das Entgendern schnell (wenn ich Menschen neu kennenlern) und verwende es dann. Die Menschen, die mich schon länger kennen, wissen, wie ich spreche und verwenden es teilweise selbst.
F.M.: Lieber Thomas Kronschläger, herzlichen Dank für das Gespräch.
Entgendern nach Phettberg – Bildung und Entstehung
„Das Entgendern nach Phettberg ist eine kurze, auch mündlich einfach verwendbare Form der geschlechtsneutralen Sprache, wenn ich über Personen sprechen möchte, deren Geschlecht ich nicht kenne oder deren Geschlecht gerade nicht relevant ist.“ (Thomas Kronschläger) Es handelt sich dabei um eine Homomorphisierung der Änderungen unter Verwendung des Genus Neutrum. Im Singular wird die Form aus dem „Stamm + y“, im Plural aus dem „Stamm + y + s“ gebildet.
Beispiele:
Der Leser oder die Leserin > das Lesy > die Lesys
Raucher_in > das Rauchy > die Rauchys
Arzt/Ärztin > das Arzty > die Ärztys
Kritiker*in > das Kritiky > die Kritikys
Vorteile:
Beim Sprechen entstehen keine Kunstpausen mehr. Wortungeheuer wie „Bürger*innenmeister*innengehilf*innen“ verschlanken sich zu „Bürgymeistygehilfys“. Das y wird eindeutig den Personenbezeichnungen zugeordnet: „Das Drucky“ wird als Person erkannt, die den Beruf der Drucker:in ausübt, „der Drucker“ ist zweifelsfrei das Gerät. Zudem lassen sich Personenbezeichnungen gendern, die auf „ling“ enden (Widerling > Widerly).
Hintergrund:
Aufmerksam geworden ist Kronschläger auf die y-Form in der Kolumne des Wiener Aktionskünstlers und Autors Hermes Phettberg im Stadtmagazin Falter sowie in den „Gestionen“ genannten Befindlichkeitsprotokollen, die Phettberg zu dieser Zeit wöchentlich an seine Freunde und Fans verschickte. Per E-Mail fragte Kronschläger bei dem Wiener Gesamtkunstwerk nach, wer denn das „Schöpfy“ dieser Form sei. Genau erinnern könne er sich zwar nicht, antwortete der frühere Szenegänger Phettberg, aber er hätte die Idee wohl von Wiener „Anarchistys“ aufgeschnappt.