Man kennt sie, die vermeintlich klugen Einwände gegen das Gendern, die doch bloß im Kreis führen. „Ist die Bezeichnung ,Studierende‘ richtig, auch wenn Studentinnen und Studenten in den Semesterferien sind, schlafen oder Abends Party feiern?“ – so lautet einer davon. Ein anderer: „1933 kamen die Nationalsozialist*innen an die Macht“. Der Satz, zur allgemeinen Erheiterung in einer Talkshow vorgetragen, stammt von Richard David Precht, der glaubt, er hätte er den Genderwahnsinn entlarvt, indem er ihn überstrapaziert.

Doch beide Beispiele zeigen vor allem eines: Das Problem liegt nicht in der Sprache, sondern im Verständnis von ihr.

Die Grammatik weiß es besser

„Studierende“ ist ein substantiviertes Partizip I. Nicht neu, nicht modisch. Schon die „Anwesenden“ oder „Reisenden“ trugen das Partizip im Namen, ohne dass jemand fragte, ob sie auch wirklich immer anwesend oder reisend seien. Niemand empört sich über die „Stillenden“, weil sie nicht permanent den Säugling an die Brust halten, sondern zwischendurch essen, telefonieren oder arbeiten. Aber bei den „Studierenden“ scheint die Vorstellung, jemand könne gleichzeitig lernen, leben und lachen, die Grenzen des Denkbaren zu sprengen.

Die Gesellschaft für deutsche Sprache hat es längst erklärt: Studierende sind Menschen, die studieren – regelmäßig, im weiteren Sinne, als Lebensphase. Sie müssen nicht ununterbrochen über Bücher gebeugt sitzen oder an Vorlesungen teilnehmen, um grammatisch zu bestehen. Ebenso wenig, wie Autofahrende ununterbrochen im Auto sitzen.

Das Partizip I benennt Zeitpunkte – und Zeitfenster

Die Meinung, Studentinnen und Studenten könnten nur als „Studierende“ bezeichnet werden, wenn sie nichts anderes täten als durchgehend zu studieren oder exakt in dem Moment, in dem sie so angesprochen werden, der Tätigkeit des Studierens nachzugehen, stützt sich auf nur eine von mehreren Verwendungsmöglichkeiten des Partizips I – auf den aktivischen Gebrauch. Die Bezeichnung „Studierende“ ist jedoch weder ungrammatisch noch falsch verwendet. Vielmehr gibt es neben der aktivischen, attributiven Verwendung des Partizips I weitere Kontexte, in denen diese grammatische Form auftritt. Dazu gehören gewöhnliche, wiederkehrende Handlungen.

So befinden sich auch die „Vorsitzenden“ nicht permanent in dieser Rolle. Sie sind es in dem Moment, in dem sie den Vorsitz von Amts wegen ausüben, als auch über den Zeitpunkt der Sitzung oder Versammlung hinaus.

Dass diese einfache Logik in der Sprachkritik oft überhört wird, zeigt, wie viel Emotion und wie wenig Grammatik in der Debatte steckt.

Wenn Grammatik zum Kulturkampf wird

Das eigentliche Ärgernis scheint nicht das Partizip, sondern die Haltung dahinter zu sein: Wer „Studierende“ sagt, signalisiert Sensibilität. Und das stört jene, die Sprache lieber als Bollwerk gegen Veränderung sehen. Dabei ist geschlechtergerechte Sprache kein Angriff auf die Sprache, sondern Ausdruck ihres Überlebenswillens. Sprache lebt davon, dass sie sich anpasst, erweitert, dazulernt – genau wie wir. Wer das verhindern will, verteidigt kein Kulturgut, sondern ein Museum.

Die Frage, ob Studierende pausenlos studieren müssen, ist daher so sinnvoll wie: Müssen Lesende ständig lesen? Müssen Denkende ununterbrochen denken? Müssen Schreibende in diesem Moment schreiben?

Natürlich nicht. Aber sie dürfen. Und sie dürfen auch so heißen.