Wer durch Wien flaniert, kommt an ihnen nicht vorbei: den orange-grauen Abfalleimern (Wienerisch: „Mistkübeln“) der Magistratsabteilung 48 (MA 48). Sie gehören zur städtischen Abfallwirtschaft und Straßenreinigung – und sind längst mehr als Behältnisse für die Hinterlassenschaften von Passanten. Seit 2009 tragen sie kurze Sprüche, die man im Vorübergehen liest: mal witzig, mal spitz, oft überraschend treffend. „Mist für mich, Lob für dich“. „Schwarzes Loch sucht Restmaterie“. „A echter Wiener haut nix runter“. Mit solchen Wortspielen bringt die Stadt Sauberkeit ins Gespräch – charmant, niederschwellig und mitten im Alltag.

Ansprache auf Augenhöhe

Wir von DIVE sind bekennende Wienzlinge. Die bei unsereren Aufenthalten in der österreichischen Hauptstadt zusammengetragene Galerie zeigt Beispiele wie diese: „Ich gehöre zur FaMÜLLie“, „Brauche mehr Input“, „Zeit für Gefülle“. Sprachlich funktionieren diese Sätze über drei Hebel: erstens Klang (Reim/Alliteration: „Beifall für Abfall“), zweitens Bild (Metaphern wie das „Schwarze Loch“ als kosmischer Staubsauger) und drittens Rolle (der Kübel als sprechender Akteur: „Gib mir den Rest!“). Genau diese Mechanik beschreibt die Stadt auf ihrer Website – die Sprüche sollen „witzig“, „auffällig“ und damit nutzungsfördernd sein.

Wegweiser im Mikroraum

Besonders stark sind die Sprüche, wenn sie einen direkten Bezug zur Umgebung herstellen. Vor dem Konzertsaal wird der Mistkübel zum „Concerto in D-Müll“. An der Haltestelle liest man „I TRAM von Mist“. Vor der Schule heißt es augenzwinkernd „Frau Fessor, der Kübel hat meine Hausübung g’fressn!“. Und am Zoo bekommt der Papierkorb eine tierische Rolle: „Hier rein, sonst fauch ich!“ – ein Spruch, der direkt auf seine Nachbarschaft zum Tiergarten verweist. Im Dialekt klingt es gleich noch näher: „A echter Wiener haut nix runter“. Solche Varianten sind mehr als Wortspiele – sie verankern die Botschaft im Stadtraum, schaffen Identität und holen die Passanten genau dort ab, wo sie stehen.

Die Wirkung entsteht im Zusammenspiel von Sprache und Ort. Ein Slogan wie „Ihre Papiere, bitte!“ wirkt vor einer Behörde anders als am Donaukanal. Der Text verlangt, dass man den Kontext mitliest. Die Botschaft entfaltet ihre Kraft erst im Zusammenspiel mit dem Ort – der Slogan fordert zum Entschlüsseln auf und bindet den Leser aktiv in das Spiel ein. Genau dadurch bleiben die Sprüche hängen: Sie sind nicht austauschbar, sondern Teil der jeweiligen Umgebung – kleine Marker im großen Stadtbild.

Wichtig für den regionalen Bezug: Wien arbeitet bewusst mit lokalen Varianten. Neben den stadtweit eingesetzten Slogans existieren 21 regionale Sprüche, die bezirks- und ortsspezifisch eingesetzt werden. Slogans wie „Simmering ist Umwelt-King“ oder „Ka Mü auf der Mahü!“ (kein Müll auf der Mariahilfer Straße) sorgen für Zugehörigkeit zum Quartier, schaffen Wiedererkennung und halten die Botschaft relevant, weil sie räumlich „andockt“. So wird Sprache zum Wegweiser im Mikroraum – ein Zusatznutzen, der die Wirkung nochmals verstärkt.

Vom Wortspiel zum Stadtgespräch

Die Kampagne kommt nicht nur von oben. Wien setzt auch auf Mitreden: 2015 konnten Bürgerinnen und Bürger beim Online-Voting „Schreib mir was auf den Leib!“ eigene Vorschläge einreichen – darunter Finalisten wie „Hasta la Mista, Baby?“ oder „Feng Pfui“. Begleitet wurde das Ganze von einem „Mistfest“ und einer Kübel-Galerie quer durch die Bezirke. So wird aus Abfallwirtschaft Partizipation – und wer selbst mitgedacht hat, liest später umso aufmerksamer.

Wirkt das? Zwei Indizien sprechen dafür. Erstens: Je auffälliger der Kübel, desto häufiger wird er genutzt – ein Zusammenhang, den die Stadt Wien ausdrücklich betont. Zweitens: Erfahrungsberichte und Medien zeigen die Dimensionen – von rund 21.000 beklebten Kübeln bis zu pointierten Standort-Sprüchen. Zusammen ergibt sich ein konsistentes Bild: Humor senkt Barrieren, Sprache setzt einen freundlichen Impuls – und das Orange der Kübel macht den Rest sichtbar. Das Modell macht Schule: Auch andere Städte im deutschsprachigen Raum greifen die Idee inzwischen auf.

Dialog im Vorbeigehen

Zum Schluss zurück zu unseren Fotos: Dialekt („A echter Wiener …“), Wortspiel („FaMÜLLie“), Pop-Bezug („#Trashtag“) und Selbstironie („Ihre Papiere, bitte!“) zeigen, wie Stadtsauberkeit klingen kann – nicht als erhobener Zeigefinger, sondern als offener Dialog. Genau darin liegt die Qualität dieser Intervention: Sie macht Sauberkeit zur gemeinsamen Sache – über Lächeln, Lokalkolorit und die leise, dauerhafte Präsenz im Straßenraum. Eine gelungene Fallstudie in angewandter Urbanität!

Links

Der heitere Mistkübel: Wortwitz im öffentlichen Raum. Süddeutsche Zeitung, 2023.
Die Mistkübel von Wien. Wien erleben, 2021.
Wiener Papierkörbe haben den richtigen Spruch drauf. Stadt Wien, o.D.
Regionale Wiener Papiekorb-Sprüche, o.D.