Stefan Naas ist „Feuer und Flamme für Hessen“. So lautet die Kampagnenlinie der FDP zur Landtagswahl 2023 in Hessen. Manche der markigen Sprüche wie „Verbieten wir uns nicht die Wirtschaft kaputt“, „Verwaltung digitalisieren statt Digitalisierung verwalten“ oder „Freiheit fährt FDP“ kann man so durchgehen lassen – ohne ihnen zustimmen zu müssen. Denn diese Aussagen besitzen einen klar umrissenen Inhaltskern und lassen sich schnell auf sachliche Positionen zurückführen.
Missglückte Referenzbezüge und Banalisierung von Debatten
Haariger wird es bei Botschaften wie „Bis einer heult. Null Toleranz für Wölfe“, „Für mehr Land-Life-Balance“ oder „Stärke des Rechts statt Recht des Stärkeren“. Hier haben rührige Werbetexter tief in die Referenzkiste gegriffen. Die zu kindlichen Konflikten, zur Harmonisierung des (Arbeits-)Lebens und zum sozialdarwinistischen Naturrecht gestifteten Bezüge sind gedanklich schief konstruiert und führen auf Abwege. So handelt es sich etwa bei der im FDP „Positionspapier Wolf“ kritisch betrachteten Rückkehr von Canis lupus und den Auswirkungen auf Weidetierhalter mitnichten um eine Auseinandersetzung zwischen Ebenbürtigen, als deren Konsequenz nur ein folgenloses „Heulen“ in einem der beiden Lager zu befürchten wäre.
Erschreckend wenig Sinn macht auch die zweite mögliche Lesart der Headline: „Bis einer (ein Wolf) heult.“ Damit wäre schon ein in der Nähe menschlicher Ansiedlungen vernehmbares Wolfsgeheul ein hinreichender Grund für eine Null-Toleranz-Politik gegenüber der gefährdeten Tierart.
Scheinironie und Schulterschluss mit Donald Trump
Schwierig auch die Headline „Make Inflation Small Again“. Man könnte eine solche Aussage als ironisch verstehen. Doch ist Ironie eine besondere Form der missverständlichen Rede bzw. ein Idiom des Unernstes. Sie erfasst die Dinge nicht in ihrem objektiven Gehalt, sondern identifiziert sie mit dem Stil der ihnen zugeordneten Aussagen. So befördert Ironie ein Verstehen, das nicht allein von Intention, Repräsentation und Interpretation bestimmt wird. Genau das ist hier aber nicht der Fall. Denn die Freien Demokraten wollen die Inflation ja – ernsthaft – verringern.
Damit vollzieht die Fraktion geradewegs den Schulterschluss mit Trumps Kampagne „Make America Great Again“ von 2015/2016, anstatt diese auf die ironische Schippe zu nehmen. Spätestens nach dem von Trump befeuerten Sturz auf das Kapitol kann man sich fragen, ob eine solche Anlehnung geeignet ist, das Vertrauen von Wähler:innen zu gewinnen.
Rhetorische Augenwischerei statt Argumente
Vollkommen inhaltsleer erscheint schließlich die Aussage „Vom Gendern kommen auch nicht mehr Lehrerinnen“. Unter der Überschrift „Deutsche Sprache schützen – ,Gender‘-Trend in der Sprache kritisch bewerten“ zieht die FDP Hessen gegen die in ihren Augen „identitätspolitische Instrumentalisierung des Kulturgutes Sprache“ ins Feld. Das ist ihr gutes Recht. Allerdings instrumentalisiert sie den Trend zur sprachlichen Gleichbehandlung der Geschlechter ihrerseits: Gendern, so will die oben zitierte Headline nahelegen, ist nichts weiter als ein sich Befassen mit Nichtigkeiten, das auf Kosten der wirklich drängenden Aufgabe geht: der Bekämpfung des Personalnotstands in Schulen. Doch eine solche Abhängigkeit gibt es gar nicht. Das ist wohl auch den Macher:innen der Kampagne gedämmert, denn sie haben in den Satz noch ein trotziges „auch“ eingefügt.
Wir haben es daher gar nicht mit einer politischen Botschaft zu tun. Sondern mit einer Reinform des „Whataboutism“. Das ist nach Definition des Oxford Living Dictionary „die Technik oder Praxis, auf eine Anschuldigung oder eine schwierige Frage mit einer Gegenfrage zu antworten oder ein anderes Thema aufzugreifen“. Zwischen dem Genderdiskurs und dem Fachräftemangel in Schulen herrscht allenfalls ein oberflächlicher Scheinbezug. Solche Rhetorik kann vielleicht bei genderkritischen Gesinnungsgenoss:innen schenkelklopfende Heiterkeit auslösen und sie in ihrer Position bestätigen. Alle anderen lässt sie kalt.