Corporate Language übersetzt sich mit „Markensprache“ oder „markenkonformer Sprache“. Gemeint ist eine speziell designte Sprache, die der Markenidentität eines Unternehmens Ausdruck verleiht. Denn die Marke soll nicht nur durch Bilder, Farben, Gestaltungselemente, Typografie usw. vermittelt werden. Sie soll auch durch die Sprache wirken. So weit, so gut.

Doch wie gelangt man von der Marke zur Markensprache? Welchen Weg müssen wir gehen, um in Texten Markeneigenschaften sprachlich zu repräsentieren? Werbetreibende, Marketingleute und Sprachspezialisten trumpfen diesbezüglich gerne mit einer Imponiervokabel auf und sprechen von „Ableitung“. Das klingt nach einem methodisch geregelten Vorgehen und nach wissenschaftlicher Exaktheit – und wird von Kunden üblicherweise auch nicht in Frage gestellt. Doch ist der Transfer von Marke in Sprache als der neuralgische Punkt in der Entwicklung einer Corporate Language damit wirklich methodich gesichert?

Der Begriff der „Ableitung“ suggeriert logische oder mathematische Exaktheit.

Ableitungen sind Folgerungsmethoden, die in der Mathematik, der Informatik, der Philosophie und der Logik ihren Platz haben. Meist wird darunter eine deduktive Schlussforgerung aus gegebenen Prämissen auf zwingende Konsequenzen verstanden. Der einfachste Fall der Deduktion ist die Beseitigung einer Implikation mit Hilfe der Abtrennungsregel. Die logische Struktur dieser Regel hat die allgemeine Form eines Arguments, das aus einer Menge von Prämissen nach einer Schlussregel auf eine Konklusion schließt:

P(Prämisse 1)
P → q(Prämisse 2)
——— 
Q(Konklusion)
Sind p und p → q (sprich: wenn p, dann q) wahre Aussagen, so ist auch q eine wahre Aussage.

In der Sprachwissenschaft sind Ableitungen ein Mittel der Wortbildung. Dem terminonlogischen Gleichklang zum Trotz haben die vorgenannten Ableitungen nichts mit der vorgeblichen „Ableitung“ im Kontext der Corporate-Language-Entwicklung zu tun. Schon gar nicht darf man auf die Möglichkeit eindeutiger und zwingender Schlussfolgerungen hoffen. Warum?

Der Corporate-Language-Entwickler bewegt sich nicht in einem formalen System. Sondern in zwei verschiedenen Welten.

Zunächst sollten wir uns vergegenwärtigen, dass „Marke“ und „Sprache“ zwei dem Wesen nach unterschiedliche Systeme sind. Markenidentitäten bestehen aus Festschreibungen wie beispielsweise Purpose, Leitsätze, Markenwerte, Leistungsversprechen, und anderem mehr. Sie dienen dazu, Produkte und Dienstleistungen mit bestimmten Botschaften und Emotionen zu verknüpfen. Das System „Sprache“ dagegen ist ungleich elaborierter und vielfältiger als das Konstrukt Marke. Durch die Brille der Semiotik betrachtet, kann Sprache als Zeichensystem verstanden werden. Dieses besteht aus einer Vielzahl von Zeichen, die eine Bedeutung haben, welche mittels grammatikalischer Regeln zu unendlich vielen Aussagen verknüpft werden können.

Schon dem Hintergrund der kategorialen Unterschiedlichkeit der beiden Systeme wird deutlich, dass eine Markensprache nicht umstandslos aus eine Marke „abgeleitet“ werden kann. Günstigstenfalls wird vom Einen zum Anderen „übergeleitet“.

Ohne illusionistische Nebelkerzen: „Überleiten“ statt „Ableiten“.

Ein Anfängerfehler in der Entwicklung einer Corporate Language besteht darin, Werte, Wörter und Wendungen aus Formulierungen der Markenidentität unverwandelt in die Sprache zu hieven. Abgesehen davon, dass die Verwendung von Marken- und Marketingbegriffen in anderen Kontexten häufig unpassend ist, wird bei diesem Vorgehen die Schwelle zur Redundanz oft nach wenigen Seiten Text überschritten. Ebenso wenig ist es sinnvoll, scheinbar zur Markenidentität „passende“ Begriffe zu assoziieren und diese dann in Texten zu platzieren. Tatsächlich können nicht alle Markeneigenschaften sprachlich repräsentiert werden. So kann man sich zwar vorstellen, wie die Eigenschaft „dynamisch“ sprachlich klingt. Bei „fair“, „transparent“ oder „kosteneffizient“ wird es schwierig, weil diese Begriffe auf inhaltliche Variabeln verweisen und sprachstilistisch nicht abzubilden sind. Das trifft genauso auf Werte wie „Nähe“ oder „Gemeinschaft“ zu.

Wie gelangen wir also geregelt von der „Marke“ zur „Sprache“? Die Summe aller sprachlichen Merkmale verdichten sich in der Tonalität, dem „Klang“ der Marke. Architektonisch unterhalb der Tonalität sind jene Regeln formuliert, durch deren Anwendung die Tonalität sprachlich realisiert und die Sprache unverkennbar „markiert“ wird. In einem idealen Prozess werden auf der Basis der Markenidentität zunächst Kriterien mit dezidiert sprachlichem Charakter festgelegt, welche die Marke inhaltlich möglichst verlustfrei repräsentieren. Markeneigenschaften, die keine sprachliche Entsprechung haben, bleiben zwangsläufig unberücksichtigt. Anders als uns das Phantom der „Ableitung“ glauben machen will, ist das Vorgehen nicht mathematisch oder logisch exakt, sondern heuristischer Natur. Trotzdem kann und soll auch die „Überleitung“ präzise und sorgfältig geschehen. Praktisch verwendet man am besten eine Tabelle, in der die Bestandteile der Markenidentität in einer ersten Spalte sukzessive abgearbeitet und in einer zweiten Spalte in Sprachstilkriterien transformiert werden.

Das Ergebnis ist ein Katalog (selektiver) Kriterien. Dieser Katalog wird weiter bearbeitet, indem Kriterien geclustert und/oder gewichtet werden, bis das Gesamtbild dem Profil der Markenidentität entspricht. In jedem Fall sind die Corporate-Language-Entwickler gefordert, die Profile in beiden Spalten abzugleichen und die Sprachstilkriterien ggf. nachzujustieren, bis eine möglichst gute sprachliche Repräsentanz der Marke erreicht ist.

Vorteile der „Überleitung“:

  • Die sprachliche Repräsentierbarkeit von Markeneigenschaften wird systematisch geprüft. Repräsentierbare Eigenschaften werden geregelt und vollständig übertragen.
  • Statt die Markenidentität vorschnell auf einzelne Wörter oder Wendungen auf der Sprachseite zu verengen, findet eine geringstmögliche Reduktion von Inhalten statt.
  • Die entwickelten Kriterien erlauben es, die Stimmigkeit der im weiteren Verlauf zu entwickelnden Tonalität und Sprachregeln zu prüfen – dies ist bei einem assoziativen Vorgehen nicht möglich.

In der Entwicklung der Tonalität und der Corporate-Language-Sprachregeln erweitert sich die Tabelle um eine dritte und vierte Spalte. Auf Tonalitäts- und Regelebene „schrumpft“ oder „wächst“ die Zahl der Einträge möglicherweise, sodass grafische Hilfsmittel (z.B. Pfeile) unterstützen können, die Überleitung im Detail nachzuvollziehen und zu prüfen. Eine Unter- oder Überrepräsentation von Kriterien auf Regelebene lässt sich allerdings kaum vermeiden, da manche Kriterien ggf. viele Regeln zu ihrer Realisierung benötigen, andere ggf. nur eine einzige. Eine hohe oder geringe Konzentration von Regeln auf bestimmten Kriterien muss in der Entwicklung reflektiert und eventuell durch entsprechende Gewichtung in der sprachlichen Umsetzung ausgeglichen werden. Dabei triumphieren Markenverstand und Sprachempfinden über die Illusion formaler Exaktheit.

Fazit:

  • Eine strenge „Ableitung“ von Sprach- aus Markeneigenschaften ist aus systemischen Gründen nicht möglich.
  • In einem „Ableitungsprozess“ werden Regeln entgegen der vorgeblichen mathematisch-logischen Strenge nur assoziiert, Marke und Sprache werden „vage“ miteinander korreliert.
  • Eine „Überleitung“ von Marke in Sprache kann als heuristischer, aber dennoch methodisch regelter Systemtranfer sehr wohl präzise, sorgfältig und nachprüfbar erfolgen.
  • Exaktere Ergebnisse als durch eine „Überleitung“ können auch auf anderen Wegen nicht erzielt werden; sie ist das Maß der erreichbaren Objektivität.