Sprache schafft Werte. Kaum ein Bereich zeigt das so deutlich wie der Markt der Gebrauchtgüter. Was früher schlicht „gebraucht“ hieß, heißt heute „pre-owned“; „Secondhand“ wird zu „pre-loved“. Zwei kleine Vorsilben, die ganze Bedeutungsräume verschieben.

„Pre-Owned“: willkommen im Owners-Club

Das Wort ist mehr Auszeichnung als Etikett. Es adelt Besitz mit Geschichte und verwandelt den Makel des Vorbenutzten in den Glanz des Erhabenen. „Pre-owned“ klingt nach Beständigkeit, nach Dingen, die über Jahre hinweg an Wert gewinnen. Eine Uhr, die als „pre-owned“ angeboten wird, ist kein Gebrauchsgegenstand – sie ist ein Erbstück auf Zeit. In ihrer ersten Lebensphase wurde sie so behandelt, wie es ihr gebührt: besitzerstolz getragen, gehegt, gepflegt. Der frühere Eigner, sicher ein englischer Lord mit umfangreichem Grundbesitz, hebt grüßend die Hand. Das Präfix „Pre“ versteckt die Vorgeschichte nicht, sondern rückt sie in die Pole-Position. Das offensiv herausgestellte Früher wird zum Qualitätsmerkmal.

Zertifikat für eine „pre-owned“ Luxusuhr

„Pre-loved“: Im Überschwang der Gefühle

Sprache verlängert das Leben der Dinge – oder verleiht ihnen sogar ein zweites und drittes. Die Fashion-Branche stimmt in die Idealisierung des Vorbesitzertums ein und lässt dem Begriff „Secondhand“ ein Upgrade zuteil werden. „Pre-loved“: Wofür dein Herz schlägt, hat zuvor ein*e Andere*r geliebt. Die Umwertung des Gebrauchten zum Geliebten zeigt, wie radikal Sprache Wahrnehmung verändert: „Gebraucht“ klingt nach Verzicht, „pre-loved“ nach Wertschätzung.

„Pre-loved“ luxury store

Dabei ist Idee, dass Dinge geliebt werden wollen – oder vielmehr: sollen –, nicht neu. Kevin Roberts, damaliger CEO von Saatchi & Saatchi, beschrieb sie 2004 in „Lovemarks – the Future Beyond Brands“: Marken, die Geheimnis, Sinnlichkeit und Intimität verbinden, werden zu Liebesobjekten. Sie erzeugen Bindung, wo zuvor nur Vertrauen war. Die 2000er-Jahre waren das Jahrzehnt dieser sprachlichen Überschwänglichkeit: „Ich liebe es“ (McDonald’s), „Aus Liebe zum Automobil“ (Volkswagen), „We love to entertain you“ (ProSieben). Später folgten „Wir lieben Fliegen“ (Condor), „Weil wir dich lieben“ (BVG) oder „Weil wir Schuhe lieben“ (Deichmann). Selbst Radiostationen und Handelsketten bekannten sich zur Liebe – am konsequentesten wohl Edeka mit „Wir lieben Lebensmittel“.

„Pre-loved“ emotionalisiert den Gebrauchtmarkt, geht dabei aber leiser und unaufdringlicher vor als das Lovemarks-Konzept. Gleichzeitig richtet sich die Liebe nicht mehr auf die Marke, sondern auf individuelle Dinge.

Die Neuerfindung des Neuen

Die Online-Plattform Vinted, eine führende Vertreterin des „Pre-Loved“-Gedankens, verknüpft die Akzentuierung des „Vorher“ mit einer veränderten Definition des Neuen: „Auf Vinted werden deine Sachen wieder neu. Du trägst es nicht? Verkauf’s einfach.“

„Wieder neu“ – das ist der Zaubersatz. Er verlagert die Perspektive vom Objektiven ins Subjektive. Millionen von Kleidungsstücken sind auf Vinted „new again“ – nicht, weil sie wirklich im Neuzustand angeboten werden, sondern weil sie für neue Besitzer*innen – logischerweise – neu sind: neu gefunden, neu begehrt. „Neu“ wird von der Beschaffenheit eines Gegenstands zu einer Empfindung. Individualität und Gefühle treten an die Stelle der reinen Sache.

Das neue Secondhand ist mehr als ein Trend. Es ist ein sprachliches Statement: für Kreislauf statt Wegwerfmentalität, für ein emotionales Ökosystem, in dem Nachhaltigkeit nicht nach Verzicht klingt, sondern nach Zuneigung. Sprache macht Dinge begehrlich – und Nachhaltigkeit marktfähig.

Konsum und Überfluss als Motor

Doch jede Romantik hat ihre Schattenseite. Vinted selbst spielt in seiner Kampagne „Too many“ mit dem anhaltenden Überfluss: „Wieder zu viel gekauft? Wir alle haben jede Menge Sachen.“ Die Lösung: verkaufen – und zwar wieder und wieder. „Ausmisten“ wird zur Tugend, Konsum zur Voraussetzung von Nachhaltigkeit. Das Geschäftsmodell der Circular Economy lebt von ständiger Bewegung – und vom nächsten Kauf: „Du willst es? Hol’s dir auf Vinted.“